26.01.2021 / Gastbeitrag zur aktuellen E-Lending-Kampagne des dbv  Sind Autor:innen, Übersetzer:innen, Verlage und Buchhandlungen die Deppen der Nation?

Berlin, 26.01.2021

Gastbeitrag zur aktuellen E-Lending-Kampagne des dbv.
Von Nina George und Frank Rösner.

Sind Autor:innen, Übersetzer:innen, Verlage und Buchhandlungen die Deppen der Nation? Zumindest könnte man zurzeit diesen Eindruck gewinnen.

Denn aktuell sehen sich die bereits durch die Krise und die ausbleibenden staatlichen Entschädigungen in ihrer materiellen Existenz gefährdeten Verlags-Autor:innen, Selfpublisher (verlagsunabhängige Autor:innen), Übersetzer:innen, Verlage und Buchhändler:innen einer erneuten Attacke des Deutschen Bibliotheksverband e.V. (dbv) ausgesetzt.

Der dbv will die Politik mit allen redlichen und unredlichen Mitteln überzeugen, hastig eine gesetzliche Grundlage für die Ausleihe von E-Books durch Bibliotheken (auch als E-Lending oder Onleihe bekannt) zu schaffen. Mit dieser sollen die Leistungserbringer gezwungen werden, ihre E-Books vom Tag der Veröffentlichung an für eine geringe Entschädigung statt fair verhandelter Lizenzvergütungen allen Bibliotheken zugänglich zu machen. Und das während der Pandemie, in der seit bald elf Monaten keinerlei koordinierte, wirksame Bundeshilfe für freiberufliche und selbständige Autor:innen und Übersetzer:innen geflossen ist, während ihre Einkommensstandbeine durch Kontaktveranstaltungen, lokalen Buchverkauf, Neuverträge oder Messepräsenzen weiterhin wegfallen, und sie mehr denn je auch auf Erlöse aus dem digitalem Vertrieb angewiesen sind.

Die Pressemitteilung des dbv und den Offenen Brief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestags lassen sich durchaus als Verhöhnung unserer Urheberrechte und der unternehmerischen Autonomie von Autor:innen, Verlagen und Buchhandel werten. Es handelt sich um eine höchst unsolidarische Attacke zu einem Zeitpunkt, in der die Kultursektoren am heftigsten von den Pandemie-Restriktionen betroffen sind, jedoch der Branche und ihren Selbständigen gleichzeitig am wenigsten zielgenau und beherzt geholfen wird. Das enttäuscht uns besonders, weil sich Autor:innenverbände und Börsenverein des Deutschen Buchhandels seit längerem in fortgeschrittenen Gesprächen mit dem dbv über sinnvolle und für Autor:innen verbesserte Rahmenbedingungen für das E-Lending befanden. Aus diesen Gesprächen sollte dem dbv die Sachlage bekannt sein.

Hier nehmen wir, Nina George und Frank Rösner, uns etwas mehr Zeit für einen individuellen Blick einer Verlagsautorin und eines Selfpublishers, und stellen Behauptungen aus dem Offenen Brief des dbv den Tatsachen sowie den Perspektiven zweier Autor:innen ausführlicher gegenüber.

1. Der dbv behauptet, der überwiegende Teil der E-Book-Titel der Spiegel-Bestsellerliste würde den Bibliotheken bis zu einem Jahr lang vorenthalten, der digitale Zugang sei aber gerade in Zeiten von Corona und geschlossenen Bibliotheksgebäuden oft „die einzige Möglichkeit“ für Bürgerinnen und Bürger, an Bücher und Informationen heranzukommen. Tatsächlich hat aber jede:r Bürger:in die Möglichkeit, die urheberrechtlich geschützten E-Books käuflich zu erwerben, so wie sich jeder auch eine Pizza bestellen kann. Bürger:innen müssen nur gewillt sein, für die Leistung von Autor:innen und Verlagen eine angemessene Vergütung zu zahlen. Überdies scheint es dem dbv in erster Linie um die Verfügbarkeit der Titel auf den Bestsellerlisten zu gehen – und nicht um das Fundament aller bildungsrelevanter Titel. Mit seiner Argumentation stellt sich der dbv auf eine Ebene mit Buchpiraten, die den Anspruch auf Vergütungen für urheberrechtlich geschützte Werke nicht akzeptieren wollen. Gleichzeitig verschweigt der dbv die in der Realität extrem niedrigen Lizenzgebühren, zu denen elektronische Medien zur Verfügung gestellt werden. Ebenso verhehlt der dbv, dass Bibliotheken nicht gewillt und/oder finanziell in der Lage sind, getätigte elektronische Ausleihen in angemessener Höhe gesondert für Autor:innen zu vergüten.

2. Der dbv behauptet, der freie Zugang zu Wissen und Information, „unabhängig von Bezahlschranken“, sei ein Grundrecht. Tatsächlich steht Kostenfreiheit nicht im Grundgesetz, und so entspricht diese rhetorische Volte des dbv keinesfalls der Wahrheit. Vielmehr sichert das Grundgesetz sinngemäß nur zu, dass der Zugang nicht kontrolliert und nicht zensiert werden darf. Folgt man der „Logik“ des dbv, dann müssten Zeitungen, Netflix und der Zugang zum Internet auch kostenfrei sein.

E-Books sind Wirtschaftsgüter und das Produkt eines aufwendigen Herstellungsprozesses. Sie können, wie jedes andere Wirtschaftsgut auch, gegen angemessenes Entgelt erworben werden. Der dbv versucht, bestens eingeführte Lizenzmodelle und faire Verhandlungen in Misskredit zu bringen und mit dem Unwort „Bezahlschranke“ zu stempeln. Dennoch überrascht uns diese Taktik nicht sonderlich; seit 2012 dirigieren der internationale Dachverband der Bibliotheken IFLA und der Dachverband der Berufs- und Institutionenverbände im Bereich des Bibliotheks-, Archiv- und Dokumentationswesens EBLIDA gezielte Kampagnen gegen das Urheberrecht und gegen Lizenzmodelle, ob im wissenschaftlichem oder im Publikums­buchbereich, und nutzen die COVID-19-Krise, um, nicht nur in Deutschland, zusätzliche Urheberrechtsschranken zu Lasten der Autor:innen zu erwirken, anstatt sich um faire Vergütung und nötige Staatsbudgets zu bemühen.

Autor:innen und Verlage sollen nun in Deutschland auf Wunsch des dbv mit einer nicht leistungs­gerechten, pauschalen Entschädigung auf gesetzlicher Basis über die, mit Verlaub, nicht gerade üppigen Bibliothekstantieme, auch für die elektronische Leihe abgespeist werden. Es kann nicht sein, dass der Bildungsauftrag von Bibliotheken auf dem Rücken der Autor:innen und Verlage als Leistungserbringer ausgetragen wird. Wenn der Staat seinem digitalen Bildungsauftrag nachkommen will, müssen die Leistungserbringer fair vergütet werden. Eine weiter sinkende Vergütung führt zwangsläufig zu einer verminderten Qualität literarischer und fachlicher Werke mit fatalen Auswirkungen auf die Bildung, auf unsere Werte der Demokratie und sozialen Gerechtigkeit und auf den Pluralismus des Buchsektors. Soll sich nur noch eine wohlhabende Elite leisten können, zu schreiben und ihren privilegierten Blick auf die Welt zu verbreiten?

3. Der dbv fordert eine Gleichstellung von E-Books gegenüber gedruckten Büchern, damit diese ohne Wahlfreiheit der Rechteinhaber:innen in den Verleih gelangen können. Dies stellt einen Eingriff in die unternehmerische Autonomie dar. Autor:innen und Verlage sollten selbst entscheiden können, ob und wann sie zu welchen Konditionen ihre E-Books in jeglichen Verleih geben. Niemand käme auf die Idee, die Autohersteller zu zwingen, in Pandemiezeiten ihre Fahrzeuge zu verleihen, um den öffentlichen Nahverkehr zu entlasten. Von Autor:innen und Verlagen wird dagegen erwartet, dass sie die Schließung der Bibliotheken durch Verzicht auf verhandelbare Vergütungen im E-Lending kompensieren.

4. Der dbv behauptet, die deutsche Politik habe den Bürgern und Bürgerinnen den freien Zugang zu gedruckten Büchern durch ein Verleihrecht gesichert und versprochen, dies auch für E-Books zu erwirken. Ein einfacher Blick in den Koalitionsvertrag zeigt anderes: Hier werden deutlich frei verhandelte Lizenzen im elektronischen Verleih befürwortet.

5. Der dbv behauptet, Bibliotheksnutzer:innen würden zu den aktivsten Käufer:innen am Buchmarkt gehören. Dabei handelt es sich um eine nicht gestützte Behauptung. Tatsächlich hat sich gezeigt, dass Menschen, die häufig elektronisch ausleihen, auch ebenso deutlich seltener Bücher käuflich erwerben. Eine genaue Lektüre der vom dbv herangeführten GfK-Studie zeigt, dass der Durchschnittspreis der E-Book-Käufe durch Nutzer:innen der Onleihe signifikant unter den durchschnittlichen E-Book-Preisen liegt. Offensichtlich werden von dieser Kundengruppe die von Verlagen angebotenen E-Books lieber über das Bibliotheksangebot bezogen, um Geld zu sparen.

6. Der dbv verweist erneut auf diese GfK-Studie, wonach der Verkauf von E-Books durch E-Lending in öffentlichen Bibliotheken nicht beeinträchtigt würde, ja der E-Book- und Bücher-Kauf sogar angereizt werden würde. Das klingt nicht nur unlogisch, das ist es auch. Getreu dem Motto, dass jede Statistik so interpretiert werden kann, wie man sich das Ergebnis wünscht, unterschlägt der dbv, dass Besserverdienende, die üblicherweise Bücher kaufen würden, gezielt auf Onleihe-Schnäppchenjagd gehen, während einkommensschwache Haushalte Bibliotheksangebote nicht in dem Umfang wahrnehmen, wie es rhetorisch verkauft wird.

7. Der dbv behauptet, der Buchhandel werde durch die Ausleihe von Büchern und E-Books nicht beschädigt. Angesichts von rund 350 Millionen ausgeliehenen Büchern und 30 Millionen E-Books (inzwischen mehr, als verkauft werden) erscheint diese These wie aus Grimms Märchen. Faktisch findet bereits eine Marktverlagerung zum Nachteil der Autor:innen statt, der Anteil von elektronischen Medien, die über die Webseiten der Bibliotheken elektronisch ausgeliehen werden, steigt seit zehn Jahren an; inzwischen sind es 15 bis 20 Prozent aller Entleihungen, bei sinkender Vergütung seitens der Bibliotheken. Das trifft sogar Autor:innen, die nicht oder weniger in Bibliotheken vertreten sind, also auch Selfpublisher. Denn wer ein kostenloses Buch liest, ist kaum geneigt, ein Buch zu kaufen. Lesezeit lässt sich nun mal nicht beliebig vervielfältigen.

8. Der dbv behauptet, der geplante Gesetzentwurf zur Umsetzung der Europäischen Urheberrechtrichtlinie würde die Bibliotheksnutzer:innen zu Leser:innen „Zweiter Klasse“ machen. Tatsächlich sollen mit dieser Feststellung die Abgeordneten des Deutschen Bundestags getäuscht werden. Denn wie soll sich ein Thema (hier: E-Lending), das im Gesetzentwurf überhaupt keinen Niederschlag findet, negativ auswirken? Ebenso gut könnte man behaupten, der Gesetzentwurf wirke sich negativ auf den Verkauf von Fahrrädern aus. Denn dazu steht auch nichts im Entwurf.

9. Schließlich verschweigt der dbv, dass der Aggregator diviIbib GmbH, als Tochter der ekz.bibliotheksservice GmbH, die wiederum Fördermitglied des dbv ist, mit oft 30-prozentigen Provisionen bei Lizenzen für den elektronischen Bibliothekseinkauf bereits jetzt mehr abschöpft als die Autor:innen als Leistungserbringer – und aufgrund des erhofften steigenden E-Book-Volumens durch eine Schranke noch prächtiger als Monopolist profitieren würde.

Nina George ist Schriftstellerin und Präsidentin des European Writers‘ Council.
Frank Rösner ist Selfpublisher, Reise- und Sachbuchautor, und im Finanzvorstand des Selfpublisher-Verbands e.V.


Zu der gemeinsamen Stellungnahme und dem Offenen Brief des NETZWERK AUTORENRECHTE an die Abgeordneten des Bundestags (26.01.2021):

Gerechte Rahmenbedingungen für das E-Lending?
Deutscher Bibliotheksverband (dbv) nutzt die Corona-Krise, um seine eigene Agenda durchzusetzen – auf Kosten der Autor:innen, Selfpublisher, Übersetzer:innen, Verlage und Buchhändler:innen

Alles lesen: So unredlich lobbyiert der DBV  →

📝 Offener Brief des NETZWERK AUTORENRECHTE
an die Abgeordneten des Deutschen Bundestags | PDF