Buchverträge in Europa: Der Report des European Writers’ Council (EWC)

Der Report des European Writers’ Council (EWC) untersucht die rechtliche und finanzielle Situation von 200.000 Schriftsteller:innen in 19 Ländern

  • 7. Juli 2024
    Jeder zweite Autor erhält keine Vorschusszahlung, wartet zwei Jahre auf die erste Tantieme, und die meisten Verträge gelten über 100 Jahre: Zum 3. Jahrestag des Inkrafttretens der Richtlinie 2019/719 (EU) über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt (7. Juni 2024) liefert der 45-seitige Report „Writers' Contracts“ des European Writers’ Council (EWC) Fakten und Daten zu vertraglichen und finanziellen Situationen von belletristischen Buchautoren im europäischen Raum.
    Zum Report →
    Von März bis Juli 2023 untersuchte der European Writers’ Council (EWC) die vertragliche und finanzielle Lage von Buchautorinnen und -autoren in 19 Ländern (Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Island, Malta, Nordmazedonien, Norwegen, Portugal, Schweden, Schweiz, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik und Zypern). Das Monitoringprojekt läuft über fünf Jahre und untersucht die vertraglichen Details und Bedingungen von belletristischen Autoren (2024), gefolgt von Kinder- und Jugendbuch (2025), sowie Sachbuch- und Fachbuch (2026). Das Langzeitprojekt wird geleitet von Maia Bensimon (Juristin, Vizepräsidentin des EWC) und Nina George (Schriftstellerin, politische Beauftragte des EWC).
    23 professionelle Verbände und Autoren-Organisationen antworteten auf 43 quantitative und qualitative Fragen. Sie inkludierten die positiven, negativen oder neutralen Auswirkungen der Richtlinie 2019/790 (EU) über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt (CDSM-Richtlinie) auf Verlagsverträge von belletristischen Autoren und Autorinnen. Folgende Themenbereiche wurden abgefragt:

    • Welche Rechte werden für welche Dauer übertragen;
    • wie gestalten sich Vorschüsse, Tantiemen, Lizenz-Splits, etwaige Pauschalzahlungen bei Streaming sowie E-Lending oder als generelle total buy-out-Vergütung;
    • welche elektronischen Rechte werden übertragen und zu welchen Bedingungen, inklusive Tantiemen, Transparenz der Nutzungen und Auszahlungsmodelle;
    • wie (in)transparent und (un)regelmäßig sind Honorarabrechnungen;
    • welche Anteile erhalten Autoren und Autorinnen aus den Ausschüttungen von Leihen in Öffentlichen Bibliotheken (print und digital).


    Writers’ Contracts: Der 45-seitige EWC-Report 2024 (ENG) zu vertraglichen Situationen von belletristischen Buchautorinnen- und autoren in Europa

    Einführung: Buchverträge unter der CDSM-Richtlinie Titel IV, Kapitel 3, Artikel 18-23
    • Analyse der Auswirkungen der Artikel 18-23 auf Buchverträge;
    • Status Quo existierender Normverträge.

    Teil I: Jurisdiktionen der untersuchten Länder, Auswirkung der Buchpreisbindung, Fragen zur Agenturvertretung und eine Bilanz der nachteiligen Vertragsgewohnheiten

    • Überblick der untersuchten Länder, die unter das kontinentaleuropäische Urheberrecht, das angloamerikanische Copyright oder eine hybride Variante der Rechtsformen fallen;
    • Auswirkung von Buchpreisbindung auf Tantiemen und Honorarverteilungen;
    • Verbreitung von Literatur-Agenturen;
    • unveränderte Vertragspraktiken trotz Urheberrechtrichtlinie.

    Teil II: Welche Rechte werden übertragen, welche einbehalten?

    • Zur Laufzeit von Buchverträgen inkl. der Bedingungen;
    • Umfang von übertragenen Rechten;
    • Praxis des Rechterückrufs.

    Teil III: Reden wir mal über Geld: Vorschüsse, Tantiemen, Lizenz-Splits

    • Wie hoch und üblich sind garantierte Vorschusszahlungen;
    • existieren Buy-out-Praktiken;
    • von welchem Umsatz errechnet sich eine Tantieme (Einzelhandelspreis / Nettoerlös);
    • Tantiemen von Hardcovern;
    • Tantiemen von Taschenbüchern;
    • Tantiemen bei E-Books und Hörbüchern;
    • Autor-Verlag-Splits im Rahmen von Sublizenzen;
    • zur Monopolstellung von Plattformen und Existenz von Vertraulichkeitsklauseln;
    • Vergütung durch das Verleihrecht (Bibliothekstantieme) und in der freiwilligen E-Lending-Praxis.

    Teil IV: Transparenz und Rechnungslegung
    Wie häufig erhalten Autoren und Autorinnen Abrechnungen, welche Nutzungsdokumentationen bei E-Book, Audiobook und Übersetzung fehlen am häufigsten.
    Zehn Empfehlungen des EWC zur Verbesserung von Buchverträgen: Transparenz als nötiges Bekenntnis zur Gerechtigkeit.


    Zur Lage der Buchautoren und -autorinnen im Europäischen Sektor – Zahlen & Fakten des EWC-Reports aus 19 Ländern

    • Vorschusszahlungen sind nur für 42 Prozent der Autor:innen üblich. Debütanten und Nachwuchsschriftsteller erhalten keinen oder nur selten eine garantierte Honorarvorauszahlung. 
    • Vergütung wie vor 50 Jahren: Schriftsteller und Autorinnen werden nie für ihre Arbeit oder die Erstellung des Werks bezahlt, sondern erhalten nur, und oft um Jahre verspätet, einen geringen finanziellen Anteil an den nutzungsabhängigen Einnahmen: zwischen 5 % und 8 % des Verkaufspreises bei Taschenbüchern und zwischen 8 % und 10 % bei Hardcovern als Tantieme (in Ländern mit Buchpreisbindung). Diese Tantiemenanteile haben sich seit teilweise sechs Jahrzehnten nicht verändert.
    • Digitale Wertschöpfungslücke: Eine angemessene Vergütung beim Streaming und der digitalen Nutzung von E-Books und Hörbüchern ist nicht existent.
    • Lücken in der Abrechnung: Autoren und Autorinnen erhalten nur einmal im Jahr eine Abrechnung. Bessere Praktiken (halbjährliche Abrechnungen) werden nur für Schweden, Portugal, Dänemark und Deutschland gemeldet.
    • Digitale Intransparenz: Bei mehr als 60 Prozent aller Abrechnungen fehlen Informationen wie die Zahl der digitalen Verkäufe (25 Prozent), der digitalen Ausleihen (bis zu 80 Prozent), der Abrufe in digitalen Flatrates oder Abonnementmodellen (85 Prozent) für E-Books und Hörbücher.
    • Keine Schlichtungsstellen: Gemäß Art. 23 CDSM-Richtlinie sind die EU-Mitgliedstaaten in der Pflicht, die Bestimmungen zur Umsetzung alternativer Streitbeilegungsverfahren umzusetzen. Bislang hat keines der untersuchten 19 Länder Schlichtungsprotokolle oder Streitschlichtungsstellen eingerichtet.
    • Lebenslanger Vertrag: Fünfundsiebzig Prozent der belletristischen Autoren und Autorinnen übertragen das volle Rechtepaket für die gesamte Dauer der Gesetzgebung (bis zu 70 Jahre nach dem Tod = 100-120 Jahre). Die häufigsten einbehaltenen Rechte sind Audiobook und Theateradaptionen.

    ALLE ZAHLEN UND FAKTEN
    DES EWC Reports „WRITERS’ CONTRACTS“

     

    EU-Urheberrechtsrichtlinie: Gut gemeint, schlecht ausgeführt

    Die am 17. April 2019 verabschiedete und am 7. Juni 2021 in Kraft getretene CDSM-Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und Titel IV, Kapitel 3, Artikel 18-23, zielte darauf ab, die vertragliche Position von Urhebern signifikant zu verbessern. Zuvor war die Regulierung (oder vielmehr: Nichtregulierung) von Verträgen das rechtliche Hoheitsgebiet der EU-Mitgliedstaaten. Die in Kapitel 3 der CDSM-Richtlinie festgelegten Anforderungen zu angemessener und verhältnismäßiger Vergütung, Auskunft über Nutzung des Werkes, Nachverhandlungsrechte, Rechterückruferleichterungen, Verbandsklagerecht und Mediationsstellen sahen eine Mindestharmonisierung vor – eröffnete jedoch gleichzeitig den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, bestehende Vorschriften beizubehalten oder neue einzuführen. Entsprechend fragmentiert ist auch die Umsetzung:

    Wie die EWC-Umfrage 2022 (Umsetzung der CDSM-Richtlinie ein Jahr nach Inkrafttreten) belegte, haben die EU-Mitgliedstaaten die Vorgaben nicht konsequent für einen nachhaltigen Schutz von Urheberinnen und Urhebern genutzt. In einigen Fällen wurden bestehende Regelungen verwässert, in anderen wurden neue Regelungen nur schwach implementiert, wie etwa z.B. Auskunftsrechte, die dritte Parteien wie Distributoren oder ausländische Verlage nicht einbeziehen. Auch kollektive Verhandlungsmöglichkeiten einschließlich des Verbandsklagerechts wurden von den meisten Ländern, inklusive Deutschland, zurückhaltend umgesetzt. Damit liest sich die Richtlinie gut auf dem Papier, doch in der Praxis fehlt es an konkreten Umsetzungsinstrumenten, die Autoren und Autorinnen helfen, korrekte Verträge zu schließen, nachzuverhandeln, oder sich von einem Verband im Streitfall vertreten zu lassen.

    Forderungen des European Writers‘ Council (EWC) an die Mitgliedsstaaten:

    • „Angemessene und verhältnismäßige“ Vergütung muss konkret definiert werden, insbesondere im digitalen Bereich, in dem die Nutzungsintensität steigt, die Erlöse sich jedoch verringern.

    • Gesetzliche Bestimmungen zum Auskunftsrecht müssen autorenfreundlicher nachgebessert werden. Auch Drittlizenznehmer und monopolistische Plattformen und Distributoren müssen zur vollständigen Transparenz _jeder_ Nutzung verpflichtet werden. Dies gilt auch für staatliche und gemeinnützige Einrichtungen wie Bibliotheken oder Universitäten und ihre digitalen Aggregatoren wie etwa Divibib oder OverDrive, für nationale und internationale Streaming-Anbieter wie Spotify, Audible oder StoryTel, sowie B2B-Lizenznehmer wie Airlines, Hotels oder Bahngesellschaften.

    • Der Rechterückruf muss nach dem Motto „use it or lose it“ gestaltet werden.

    • Die Mitgliedsstaaten müssen ihrer Pflicht nachkommen, außergerichtliche Mediation und Schlichtungsstellen gemäß der Richtlinie 2019/790 einzurichten, um gemeinsame Vergütungsregeln, Tarifverhandlungen und die Aushandlung von Normverträgen möglich zu machen, sowie Autorinnen und Autoren bei der Rechtsdurchsetzung beizustehen.

    • Die staatlichen Budgets für Bibliothekstantiemen für gedruckte Werke, sowie für die elektronische Ausleihe unter freiwilligen Lizenzbedingungen in öffentlichen Bibliotheken, muss signifikant erhöht werden. Weitere Ausnahmen und Schranken im Urheberrecht sind nicht zur Deckung des Bildungsmandats geeignet.

    Forderungen des European Writers‘ Council (EWC) an die Europäische Kommission und das gewählte Europäische Parlament:

    • Das Wettbewerbsrecht so anzupassen, dass es den Berufsverbänden erlaubt ist, einen Mustervertrag oder die besten Klauseln für Schriftsteller öffentlich zugänglich zu machen, einschließlich der Möglichkeit, öffentlich Honorare zu empfehlen, z.B. für Lesungen oder Empfehlungen für Vertragsklauseln.

    • Sanktionen gegen die EU-Mitgliedstaaten Bulgarien, Portugal und Rumänien zu erlassen, die die Verleihrechtsrichtlinie (1992 / 2006) noch nicht in Kraft gesetzt haben, und in denen Autoren und Autorinnen um ihre rechtmäßigen Bibliothekstantiemen gebracht werden.

    • Die positiven Auswirkungen der Buchpreisbindung (FBP) zu evaluieren.

    Zum Positionspapier des EWC →