„Mit Wumms aus der Krise“: Diese Ankündigung von Vizekanzler Olaf Scholz
hätte Potenzial für einen Bestseller-Titel. Die Bundesregierung stellt insgesamt 130 Milliarden Euro für
Konjunktur-, Krisenbewältigungs- und Zukunftspakete zur Verfügung. Davon ist allerdings im Rahmen
des am 3. Juni 2020 vorgestellten Programms NEUSTART KULTUR nur rund eine Milliarde Euro der
Kultur- und Kreativwirtschaft zugedacht, und davon lediglich 30 Millionen Euro als Betrag, den sich
Galerien, sozio-kulturelle Zentren sowie die Buch- und Verlagsszene aufteilen sollen.
Im Vergleich mit anderen Sparten wirkt dies allenfalls wie ein Wümmchen. Allein die Sicherung der
Ausbildungsplätze bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) ist dem Staat eine Förderung in
Höhe von 500 Millionen Euro wert. Und diejenigen Kultureinrichtungen und Kulturprojekte, die in den
Genuss von Fördermitteln aus dem Bundeshaushalt gekommen sind, erhalten stattliche 100 Millionen
Euro zur Abfederung coronabedingter Einnahmenausfälle.
Die Diskrepanz zwischen diesem Volumen und dem – soweit erkennbar – allenfalls einstelligen für die
„Buchszene“ resultierenden Millionenbetrag erscheint besonders eklatant gemessen an der
Wertschöpfung der Leistungen von Autorinnen und Übersetzern, und der Zahl dieser oft existenziell
bedrohten freiberuflichen Kulturschaffenden. Der Kultur- und Kreativsektor rangiert bei der
Bruttowertschöpfung hinter dem führenden Fahrzeugbau nahezu gleichauf mit dem Maschinenbau.
Unter Zugrundelegung des Anteils dieses Wirtschaftszweiges ergäbe sich für diese durch die Folgen der
Covid19-Krise besonders gebeutelte Branche ein rechnerischer Unterstützungsbetrag in Höhe von 4,34
Milliarden Euro und allein für den Buchsektor ein Betrag von 208 Millionen Euro. Die im Konjunkturpaket
NEUSTART KULTUR bislang vorgesehenen Mittel stehen hierzu in keinem Verhältnis.
Wir geben die Hoffnung auf einen wahren Wumms nicht auf und ersuchen die politischen
Entscheidungsträger, sich dafür einzusetzen, dass die bereitgestellten Mittel innerhalb des NEUSTART
KULTUR-Pakets noch einmal vervielfacht werden und jenseits der Förderschwerpunkts Infrastruktur
im Kultursektor in einer signifikanten Weise auch jene erreichen, die das Rückgrat und der Ursprung
der Buchwertschöpfungskette sind und ohne deren Leistungen kein pulsierendes literarisches Leben
möglich ist: Die Autoren, Autorinnen, Übersetzer und Übersetzerinnen. Diese wurden bisher kaum
unterstützt. Ein Abdrängen in Hartz IV der oftmals an der Grenze ihrer Belastbarkeit arbeitenden
Kulturschaffenden ist weder gerecht noch zielführend.
Hier könnte das NEUSTART KULTUR PAKET durchaus einige Lücken schließen, wenn es
konsequent auch im Dienste aller freien oder selbständigen Kulturschaffenden eingesetzt wird:
Das Netzwerk Autorenrechte (NAR) als Zusammenschluss von 14 Verbänden mit über 15.500
Autoren und Übersetzerinnen aus dem deutschsprachigen Raum hat im Sinne des
Konjunkturpakets der Bundesregierung einen Aktionsplan für Autorinnen und Übersetzer
erarbeitet, der im Rahmen der NEUSTART KULTUR-Programme umgesetzt werden kann.
Zu den vorgeschlagenen Maßnahmen gehören u.a. ein ABGESAGT-FONDS, ein COMEBACK-Fonds,
ein LITERATUR-ONLINE-Fonds sowie ein LESEN!-Fonds. Die Absage von Veranstaltungen hat für
einen Großteil der Autoren und Autorinnen dramatische Auswirkungen, so vor allem für Genres wie das
Kinder- und Jugendbuch, Drama oder Sachbuch, die in besonderer Weise auf Vortragstätigkeit
angewiesen sind, sowie für jene, die neben dem Schreiben auch moderieren, an Schreibwerkstätten
mitwirken und an Podien teilnehmen. Der umfassende zwölfteilige Vorschlagskatalog findet sich
unter: www.netzwerk-autorenrechte.de/NEUSTART_KULTUR.html
Die Covid19-Krise wird gravierende Folgen für den Buchmarkt haben, wie die am 3. Juni vorgestellte
Umfrage des European Writers‘ Council aus 24 Ländern belegt. Autorinnen und Übersetzer sehen sich
für 2020 und 2021 mit einer zweiten und dritten, allerdings sehr viel stilleren Welle von
existenzgefährdenden Einbußen konfrontiert. Die aus den Verkaufseinbrüchen resultierende
Verkleinerung der Verlagsprogramme wird im kommenden Jahr in ganz Europa zu einer Verringerung
der Zahl an Neuerscheinungen um bis zu 150.000 Titeln führen. Hinzu kommen Abschläge bei den
Vorschüssen und Tantiemen, die Stornierung von Aufträgen sowie ein erschwerter Marktzugang für
junge Autoren und Autorinnen, für Nischenthemen und auch für Übersetzungen aus weniger bekannten
Sprachen und Kulturkreisen. So befürchten wir neben den wirtschaftlichen Nöten auch eine direkte
Bedrohung der Bibliodiversität.
Hier sollte die Krise als Chance genutzt werden, durch weitere langfristige Maßnahmen auf kultur-,
rechts- und marktpolitischer Ebene; unter anderem mit einer Stärkung der Rechtsdurchsetzung im
Rahmen des Urhebervertragsrechts, mit erhöhten Bildungs- und Digitalbudgets und kontinuierlich
aufgelegten Leseförderungs- und Investitionsprogrammen speziell für den Buchsektor.
Ein zukunftsfähiges Deutschland muss dafür sorgen, dass die menschlichen Quellen des Wissens und
der Bildung nicht versiegen. Kultur- und Künstlerförderung ist darüber hinaus auch Wirtschaftsförderung.
So unterstrich unlängst das BMWI die Bedeutung des kulturellen Umfelds einer Region oder
Kommune als entscheidenden Standortfaktor bei der Ansiedlung von Unternehmen.
Die Unterstützung von Schriftstellerinnen und Übersetzern ist folglich kein Luxus. Unsere Arbeit steht
für Vielfalt und Meinungsfreiheit, für Wissen und Pluralismus, für emotionalen, intellektuellen und
kulturellen Austausch, Innovation im Denken und die geistige Schaffung neuer – und manchmal
besserer – Welten.
Rückfragen und Informationen: info(at)netzwerk-autorenrechte.de
Als Ansprechpartnerinnen stehen u.a. zur Verfügung: Janet Clark (info(at)janet-clark.de), Carlos Collado
Seidel (ccolladoseidel(at)aol.com), Jens J. Kramer (kramer(at)das-syndikat.com), Nina George.