3. Juni 2024
Der European Writers’ Council (EWC) ist die weltgrößte Vertretung von Autor:innen in der Buchbranche und in allen Genres (Belletristik, Sachbuch, akademische Schriften, Kinderbuch, Lyrik usw.). Mit 50 Organisationen aus 32 Ländern der EU, des EWR und Gebieten außerhalb der EU repräsentiert der EWC 220.000 Autor:innen und Übersetzer:innen. Da Schriftsteller:innen, Illustrator:innen, Übersetzer:innen, Hörbuchsprecher:innen sowie Verlage, Buchhandelsverbände und Verwertungsgesellschaften von den Folgen sogenannter (generativer) Künstlicher „Intelligenz“ betroffen sind, führt dieses Handout zehn Aufgaben und Zukunftsszenarien auf, die von politischen Entscheidungsträgern und Interessensgruppen bearbeitet werden sollen.
Übersetzung der 10 EWC Prinzipien zur Regulierung von generativer KI:
Henning Bochert, gefördert durch den Förderverein Buch e.V.
Zuerst erscheinen in „Automatensprache“, Hrsg. Claudia Hamm, Hanser Literatur Verlage.
1) Input regulieren: Auf der Ebene des Inputs wird fortwährend ohne Lizenz kopiert und Urheberrechte auf andere Weise verletzt. GKI basiert weitestgehend auf der jahrelangen nicht autorisierten, nicht vergüteten und intransparenten Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke und häufig durch Entwickler außerhalb der EU. Hier werden Regulierungen und Sanktionen benötigt.
2) Output kennzeichnen: GKI-Produkte müssen ausnahmslos gekennzeichnet werden, um unrechtmäßige Vergütungsansprüche an Verwertungsgesellschaften, Verlage oder Plattformen zu vermeiden, um Haftbarkeit zuweisen zu können und um gesetzwidriges Profitieren von öffentlichen Geldern wie Preisen, Stipendien oder Projektfonds zu vermeiden. Leser:innen haben ein Recht auf Informiertheit.
3) Einen modernen rechtlichen Rahmen schaffen. Persönlichkeits- und Urheberrechte müssen aufgrund von GKI-Technologie wie Scraping, Speicherung und Reproduktion für Maschinen- und GKI-Training um persönliche, moralische und Urheberrechte auf den eigenen Stil, die eigene Stimme und Erscheinung erweitert werden. Ähnlichkeiten im GKI-Output müssen sanktioniert werden.
4) Zerstörerischen Transfer von Wirtschaftswerten unterbinden: In Europa sind Autor:innen die Quellen einer 22,5-Milliarden Euro schweren Buchindustrie. Ihre geistige Arbeit und damit die Grundlage eines funktionierenden Marktes wird ohne Vergütung ausgebeutet, um mit GKI-Anwendungen einen profitträchtigen Konkurrenzmarkt aufzubauen und Anwendungen in jene Länder zurückzuverkaufen, deren intellektuelle Ressourcen geplündert wurden.
5) Das sensible nationale Ökosystem schützen: Langfristig gesehen hat die Zerstörung des vitalen Buchmarkts und seines positiven Einflusses auf Beschäftigung, Regionalentwicklung, Steuern, innnovationsgetriebene Wirtschaft und Beiträge zu Sozialleistungen sehr kostspielige Konsequenzen für jeden Staat.
6) Literarische Vielfalt schützen: Anstelle einer Lizenzierungspflicht bietet die TDM-Schranke (Text und Data Mining) zu kommerziellen Zwecken lediglich eine Opt-out-Möglichkeit für Autor:innen als „Schutz“ gegen GKI-„Scraper“. Die Buchbranche wird gezwungen, sehr kostspielige administrative und technische Mechanismen zu installieren, um ihre Arbeit zu schützen, was wiederum zu Lasten der Investitionen in Autor:innen und Bücher geht. Auch kommerzielles TDM muss Lizenzierung und Vergütung unterliegen, da der Rechtsvorbehalt den tatsächlichen Folgen des Scrapings für maschinelles Lernen nicht angemessen ist.
7) Menschliche Autor:innen vor Kannibalisierung durch GKI-Müll schützen: Hunderttausende GKI-Produkte erreichen seit mehr als einem Jahr ohne Kennzeichnung den Markt. Mit künstlichen Autor:innen, künstlichen Büchern voller Desinformation und Plagiaten, Fake-Leser:innen, die GKI-Produkte auf Bestseller-Listen pushen, GKI-Übersetzungen ohne vorherige Lizensierung etc. werden Umsatzerträge an unrechtmäßige Empfänger:innen abgeleitet.
8) Fallen wir nicht auf den Paradigmenwechsel Mensch-zu-Maschine herein: Die unkritische Begeisterung für GKI und maschinell erstellte Produkte, für die in Wahrheit Werke menschlicher Arbeit kopiert und nur neu gemischt werden, setzt menschliche Werte in Kunst und Kultur herab. Daher ist es notwendig, über Produktionsprozesse von GKI gegenüber menschlichem künstlerischem Schaffen zu informieren, z. B. in der Medienerziehung in Schulen.
9) Bewusstsein über den Verlust von Individualität und Vielfalt: Die vermehrte Nutzung von GKI durch Kinder und junge Erwachsene zur Produktion von Simulationen kultureller Erzeugnisse führt zum Verlust von Kulturtechniken des kreativen Schreibens, der bildenden Kunst, des Komponierens usw. Damit wird eine Ungleichheit zwischen den Generationen geschaffen, was das Erlernen von künstlerischem Schaffen als freiem Ausdruck betrifft. Zudem konzentrieren sich GKI-Produkte auf dominante Sprachen, sie lassen dadurch Mehrsprachigkeit versiegen und reproduzieren und vervielfältigen weiße, männliche, „westliche“ Sichtweisen. Das führt zu Voreingenommenheit und intersektioneller Diskriminierung.
10) Information, Wissen und Bildung ohne Fälschungen gewährleisten: Der Vertrauensverlust in Informationen und Medien aufgrund artifizieller und nicht gekennzeichneter KI-Kommunikation, z. B. geklonter Stimmen und Deep Fakes von Menschen und Situationen, basiert auf der wachsenden Unfähigkeit, Realität zu erkennen. Die Zukunft des Wissens ist in Gefahr, auch in Verbindung mit dem Bildungsauftrag des Staates. Durch zunehmende Verzerrung der öffentlichen Meinung können demokratische Prinzipien ausgehöhlt werden.