30. Dezember 2021 / Studie  Ein Jahr der Krise – The Winter of our Discontent

Das European Writers' Council veröffentlicht seine Folgestudie zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Krise auf Schriftsteller:innen und Übersetzer:innen in der europäischen Buchbranche 2020-2022


Bereits 2020 hat die Studie The Economic Impact of Covid-19 on Writers and Translators in the European Book Sector (Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Covid-19 auf Schriftsteller und Übersetzer im europäischen Buchsektor) 33 Berufsverbände aus 27 Ländern für einen umfassenden Bericht über die Situation von Buchautor:innen im Rahmen der Covid-19-Krise befragt. Mit der Veröffentlichung von A Year of Crisis- The Winter of our Discontent stellen wir die Folgestudie vor, die den Status quo in Bezug auf die Einkommensverluste in den Jahren 2020 und 2021, die rechtlichen Lücken und die Probleme im Bereich der sozialen Sicherheit skizziert und die Auswirkungen für die Jahre 2022-2025 aufzeigt. Das Vorwort wurde vom dem Europa-Abgeordneten und Gründer der parteiübergreifenden Cultural and Creators Friendship Group Niklas Nienaß (GRÜNE) verfasst. Das Papier schließt mit zehn Empfehlungen ab, die die 37 Empfehlungen der ersten Studie ergänzen, und wird von einem Positionspapier begleitet.


Auf der Grundlage der Daten für das Jahr 2020 haben wir die tiefen Ruptur vorhergesehen, die die Buchlandschaft der Nachkrisenjahre durchziehen wird - und die Prognosen haben sich bestätigt, einschließlich des Rückgangs der Neuerscheinungen in Europa um fast ein Drittel (minus 150.000 Titel) und damit einer noch nie dagewesenen Reduzierung der literarischen Vielfalt. Erschwerend für Autor:innen und Übersetzer:innen kommen die Einkommensverluste durch die Absage von Live-Veranstaltungen in den Jahren 2020 und 2021 hinzu - von Lesungen über Vorträge und Workshops bis hin zu Aufenthaltsstipendien –, sowie verzögerte oder ersatzlos gestrichene Tantiemen und Vorschüsse auch aufgrund verschobener oder gänzlich abgesagter Titel.
Besonders besorgniserregend ist die mangelnde Unterstützung für selbständige Autor:innen: Nur jedes zweite der 20 Länder war in der Lage, die unfreiwilligen Einkommensverluste von 30 bis 60% der selbständigen Vollzeitautoren auszugleichen. Auch die digitale Welt war kein Ausweg: Die wachsende Nachfrage nach E-Books und Hörbüchern konnte den Rückgang der Printverkäufe nicht ausgleichen, für Lesungen oder Online-Auftritte wurde nur selten bezahlt. In der digitalen Welt gibt es bisher kein Konzept, das das Publikum ermutigt, auch für "virtuelle Auftritte" Eintritt zu zahlen.
Insgesamt hat die Krise offenbart, dass Schriftsteller:innen und Übersetzer:innen aufgrund der für sie oft nachteiligen Vertragsbedingungen und der Wertschöpfungslücke bei der Nutzung ihrer Werke online, aber auch in Bildungseinrichtungen und digitalen Bibliotheken kaum Rücklagen bilden konnten. Noch demoralisierender ist, dass sich die Umsetzung der so wichtigen Richtlinie zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt in den meisten EU-Ländern verzögert hat, oder unterhalb ihrer Möglichkeiten wenig autorenzugewandt implementiert wurde. Dementsprechend schätzt die Hälfte aller Befragten die Situation als sehr ernst bis ernst ein.
Schul- und Unterrichtsmaterialien für den digitalen Fernunterricht waren sehr gefragt. Dies führte dazu, dass Verlage und Verwertungsgesellschaften Lizenzen erweiterten und oft kostenlos zur Verfügung stellten - ein Verlust, den die Bildungsautor:inen zu tragen hatten. Im Zusammenhang mit den Forderungen nach mehr Ausnahmen und Urheberrechtsschranken scheint uns dies ein besonders brisantes Thema für die Zukunft zu sein: Bildung braucht Budgets und den rechtlichen Schutz, nicht die Schwächung jener, die die Quellen des Wissens und der Literatur sind. Positiv vermerkt wurde aber auch eine neue Demokratisierung der Literatur: Autor:innen, die bisher davon abhängig waren, ob und wo sie eingeladen wurden, ihre Bücher vorzustellen, nutzten die Online-Möglichkeit, um initiativ Leser:innen über alle Grenzen hinweg zu erreichen oder neue Formate von Gesprächen, Workshops und literarisch-politischen Konferenzen zu entwickeln. Außerdem hat die Krise einige Verlage dazu ermutigt, sich bei der Veröffentlichung von E-Books deutlich breiter aufzustellen - und die Buchhändler dazu, mit Unternehmen vor Ort zusammenzuarbeiten, um Bücher an Menschen im lockdown zu liefern.

Die wichtigsten Ergebnisse der 38-seitigen Studie "One Year of Crisis"

•  77 % aller Autoren litten unter abgesagten Live-Veranstaltungen; in 90 % der Fälle wurden kein Ausfallhonorar gezahlt.
•  15 bis 25 % durchschnittlicher Einkommensverlust für nebenberufliche Autor:innen, 30 bis 40 % für hauptberufliche Autor:innen.
•  52 % der Befragten schätzen die Auswirkungen insgesamt als schwer bis sehr schwer ein.
•  Nur die Hälfte aller 20 beobachteten Länder bot staatliche Entschädigung an.
•  Verlage verschoben Titel um 8 bis 18 Monate. Die Honorarvorschüsse gingen zurück, nahezu alle Verlage reduzierten deutlich ihre Programme.
•  Die Nutzung von Lehrbüchern und Textmaterial für Schulen, Universitäten usw. für das Fernstudium hat zugenommen, allerdings mit Lizenzverlängerungen oder Gebührenerleichterungen. 70 % aller Verwertungsgesellschaften (Wort, Bild) erwarten langfristig negative Auswirkungen auf die Einnahmen aus der kollektiven Lizenzvergabe für Urheber:innen.
•  In einigen Ländern hat sich die Piraterie von E-Books verdreifacht.
•  Eine positive Botschaft: Online-Lesungen, Buchvorstellungen, digitale Workshops sowie virtuelle Konferenzen wurden als positive Ergebnisse genannt, ebenso wie ein Anstieg des Interesses in Hörbücher und E-Books.

Eine Auswahl der Empfehlungen des EWC

•  Konsequente Umsetzung der EU-Richtlinie zum Urheberrecht.
•  Schutz der Geräteabgaben, Aufstockung des Haushalts für Bildung und Kultur, deutlich höhere Budgets für analoge und digitale Leihe bei Bebehaltung freiwilliger Lizenzen im digitalen Umfeld.
•  Schaffung eines schützenden Rechtsrahmens für die Online- und Offline-Tätigkeit von Urheber:innen.
•  EU-weite Harmonisierung der Arbeitsbedingungen und der sozialen Sicherheit der Autoren und Autorinnen.
•  Faire Wettbewerbsbedingungen auf den digitalen Vertriebsmärkten.

Der EWC, der 160.000 Schriftsteller:innen aus 46 Organisationen und 31 Ländern vertritt, fordert die Mitglieder des Europäischen Parlaments, die EU-Mitgliedstaaten und die Regierungen der Nicht-EU- und der EAA-Länder auf, sich zügig und entschieden für die die Quellen der Wertschöpfungskette Buch, Literatur und Wissen einzusetzen. Dies auch im Hinblick auf Herausforderungen wie Text- und Data-Mining und KI im Buchsektor, und der Verwertung von Werken in Bibliotheken oder Bildungseinrichtungen. Wir brauchen einen starken Konsens, um Autorinnen und Autoren und ihre moralischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechte entschieden zu stärken und nicht weiter zu schwächen. Das Studienpapier finden Sie unter unten stehendem Link. Auf der Website finden Sie auch einige Grafiken zum Herunterladen sowie das Positionspapier des EWC.